Bei Sergio Leones Il buono, il brutto, il cattivo (1966) weiß ich auch nach wiederholtem Sehen nie, was genau als Nächstes passieren wird. Das liegt nicht nur an seiner erstaunlichen erzählerischen und visuellen Vielfalt, sondern auch daran, dass er das Erscheinen aus dem Nichts heraus, den Wechsel von Leere zu Fülle, mehr als jeder andere Western zum Gestaltungsprinzip erhoben hat. Das beginnt schon mit der ersten Einstellung. Man sieht eine leere Landschaft, in die hinein sich plötzlich eine dieser wettergegerbten Leone-Visagen schiebt und die gesamte Leinwand ausfüllt. Dieses Inszenierungsverfahren, das an die frühesten Jahrmarktsattraktionen erinnert, in denen am Auge des Betrachter exotische Bilder vorbeigekurbelt werden, zieht sich durch den ganzen Film. Schwenks und Fahrten bringen Gesichter, Gewehrläufe und Henkersstricke ins Bild. Fort, da. Der Tod ist immer präsent.
Ich habe nie verstanden, welche der drei Figuren der deutsche Titel Zwei glorreiche Halunken eigentlich weggelassen hat, wahrscheinlich den bösen Sentenza (Lee Van Cleef), weil Tuco (Eli Wallach) und der Blonde (Clint Eastwood) ja die meiste Zeit eine Art Team bilden. Schleierhaft ist mir auch, warum in der deutschen Fassung "il brutto" als "Der Brutale" und nicht korrekt als "Der Hässliche" übersetzt wird. Das Brutale gehört zum Bösen, zu Sentenza, der Tuco foltert. Tucos Position im Film liegt hingegen zwischen Sentenza und dem Blonden, zwischen Böse und Gut, zwischen dem Tod und dem Leben. Dieses Zwischen-den-Dingen-Sein macht für mich die wunderschöne Hässlichkeit von Tuco aus, er ist ein Bastard, der das Leben selbst verkörpert, das trotz des Todes und des Nichts um ihn herum sich immer wieder behauptet.
Tuco ist auch die Hauptfigur des Films, Leone und seine Kamera lieben ihn, beobachten ihn, lassen sich von ihm voranführen. Das mag erstaunen, da Leone erst ein Jahr zuvor Lee Van Cleef und Clint Eastwood in Per qualche dollaro in più als perfekte Gegenspieler in die Ikonografie des Westerns eingeschrieben hat. In Il buono, il brutto, il cattivo sind sie zwar wichtig zur Komplettierung des erzählerischen Dreiecks, in dem sich die Kräfte ständig verlagern, aber Tuco steht im Mittelpunkt, er ist die treibende Kraft. Er schafft die stärksten Situationen des Films, in dem er ohne weiter nachzudenken in sie hineintorkelt und -reitet. Manchmal scheint es, als ob sein Auftauchen die Dinge erst zum Erscheinen bringt: Sein Ritt in die Wüste lässt die Kutsche erscheinen, in der ein Sterbender ihm noch von einem Grab voller Gold erzählen kann. In einem völlig zerstörten Haus stößt Tuco auf eine Badewanne voll heißen Wassers. Als er vor den Kanonenkugeln flüchtet, die der Blonde hinter ihm her schießt, rollt Tuco geradewegs gegen einen Grabstein des gesuchten Friedhofs, der so, aus der Bewegung Tucos heraus, erst Gestalt annimmt.
Dass Leone Tuco liebt, zeigt sich auch daran, dass er sein erzählerisches Prinzip, das unangekündigte Erscheinen aus dem Nichts, seiner Hauptfigur geradezu abgeschaut hat. Tuco ist genau der Typus des Abenteurers, den ich an anderer Stelle schon einmal beschrieben habe: Sein Horizont reicht so weit, wie seine Hände greifen können. Er ist kein Stratege wie Sentenza und der Blonde, die vorausplanen und für ihre Pläne über Leichen gehen, sondern er denkt immer erst mal an das, was ihm ganz nahe ist. Zwei der schönsten Szenen aus Il buono, il brutto, il cattivo illustrieren das. Nachdem Tuco bei seinem ersten Wüstenbesuch fast verdurstet ist, kommt er in eine kleine Stadt. Er trinkt Wasser aus einem Brunnen und dringt dann in einen Laden ein, in dem Waffen verkauft werden. Hier, umgeben von Dingen, die er greifen kann, läuft Tuco zu höchster Form auf. Er wiegt verschiedene Colts in seinen Händen, blickt durch Läufe und lauscht an Trommeln, nimmt die Geräte auseinander und fügt sie neu zusammen. Gesprochen wird fast gar nicht, stattdessen konzentriert sich der Film wieder auf das Erscheinen von Schönheit aus dem Nichts in Gestalt einer perfekten Waffe.
Die zweite Szene trägt sich im Gefangenenlager der Unionstruppen zu, nachdem Tuco in seiner typisch unbekümmerten Art eine falsche Identität angenommen hat. Sentenza lässt ihn zu sich rufen und behandelt ihn wie einen alten Freund, aber hinter der Freundlichkeit warten die Folter und der Tod, was jedem klar ist. Außer Tuco selbst augenscheinlich, der lieber die vor ihm stehenden Teller mit großem Genuss leerfuttert und sich alles greift, was vor ihm auf dem Tisch steht, als ob es keine drohende Gefahr gäbe.
Die Szene zeigt wie viele andere auch, welche enge Verbindung zwischen Tuco und dem Tod besteht. Nicht nur, weil er sich regelmäßig vom Blonden vom Galgen schießen lässt, um sich nachher das auf ihn selbst ausgesetzte Kopfgeld zu kassieren. Sondern auch weil der Tod die Quelle ist aus der sich Tucos wildes, unbezwingbares Leben immer wieder neu schöpft. Tucos Erscheinen im Bild kommt tatsächlich oft einer Widergeburt gleich, das zieht sich bis zur letzten Einstellung durch: vom Galgen geschossen, aus der Wüste gekrochen, von der Folter genesen. Klar, dass er das Grab findet, zwar nicht das richtige, aber jenes, das zum richtigen führt.
Für Tuco gilt außerdem, was ich schon an Caine (Burt Reynolds) in Sam Fullers Shark! (1969) bewundert habe: Er kann immer und jederzeit pennen. Nachdem er gemeinsam mit dem Blonden Dynamit an der Brücke befestigt hat, an der täglich Hunderte von Soldaten der Nord- und Südstaaten fallen, laufen sie gemeinsam den Hügel hoch und springen in einen Schützengraben hinein. Während der Blonde sich gleich umdreht, verharrt Tuco so, wie er gelandet ist: zusammengekauert in Embryonalstellung, den Arsch in die Luft, für alle sichtbar, die davon Kenntnis nehmen wollen. Als er viele Stunden später in derselben Position aufwacht, ist die Brücke zerstört und die Soldaten haben die Gegend verlassen. "Die völlige Ausblendung äußerer Wirklichkeit ist notwendige Fähigkeit des Abenteurers und Basis unseres Vergnügens." (Rainer Knepperges: "Western Darkness", SigiGötz Entertainment, Die fünfzehnte Note)
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