21 Juni 2009

50 Tote!

Anmerkungen zum Wahren, Schönen und Guten auf Zelluloid anlässlich der Reihe Bizarre Cinema #4
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John Carpenters Assault on Precinct 13 (1976)
"Die Polizistin in Assault ist angeschossen. Nach dem ersten Überfall lädt sie ihren Revolver nach. Sie muß es mit ihrer linken Hand tun. Die rechte ist taub. Ein Durchschuß. Als alle Patronen nachgefüllt sind, arretiert sie die Trommel mit einem Schwung. Ganz geschickt macht sie das. Ein Mann hat sie beobachtet. Sie hat ihn, der unverletzt ist, nicht um Hilfe gebeten. Der Mann nickt ihr zu. Er lächelt. Deshalb. Und ihres Geschickes wegen. Carpenter hat das Nachfüllen der Trommel nicht unterschnitten. Der Mann bekommt erst eine Einstellung, nachdem die Polizistin ihre Arbei beendet hat. Sie hat das nicht für ihn gemacht. Das, was der Mann und auch wir beobachtet haben, gehört der Polizistin. Aber es gehört auch uns." (Christian Petzold: "Am Wegessaum". Vorwort zu Hartmut Bitomsky: Kinowahrheit, Vorwerk 8, 2003)
Zwei Wochen Drehzeit, 100.000 US-Dollar Produktionskosten, ein musikalisches Grundmotiv, das aus fünf Noten besteht, keine Einstellung, kein Wort, kein Schusswechsel zu viel: John Carpenters Assault on Precinct 13 (1976) ist ein Meisterwerk des Minimalismus. Und, wie alle Werke Carpenters, eine Hommage an Howard Hawks, vor allem an dessen The Thing und Rio Bravo. Die Helden von Assault, der ursprünglich ein Western werden sollte, sind gesellschaftlich marginale Figuren, zwei Schwarze, eine Frau, ein Mörder, die durch äußere Not eine Einheit bilden müssen. Sie sind weder durch familiäre, ethnische oder soziale Hintergründe aneinander gebunden, sondern durch einen Professionalismus, der sich erst in Extremsituationen voll entfalten kann. Namen spielen ebensowenig eine Rolle wie sozialer Background, weshalb wir auch nie den Grund für Napoleons Namen erfahren werden (vgl. Dude, Stumpy und Colorado in Rio Bravo).


Im Angesicht der Gefahr entsteht zwischen den Figuren ein Rapport, der kaum Worte braucht, sondern sich durch Blicke, Gesten und gemeinsames Handeln konstituiert. Ausgeschlossen aus dieser Gemeinschaft ist der Vertreter der Normalität, der traumatisierte Vater, der das Böse bringt, ihm aber ihm nichts entgegenzusetzen hat. Anerkennung und erotische Anziehung entstehen durch den geschickten Umgang mit Handfeuerwaffen und Feuerzeugen: "Gotta smoke?", fragt Napoleon (Austin Stoker) jeden, der ihm begegnet. Seit in Hawks’ To Have and Have Not Lauren Bacall Humphrey Bogart das Pfeifen beigebracht hat ("Just put your lips together and ... blow") hat es auf der Leinwand nicht mehr so intensiv zwischen einem Mann und einer Frau gefunkt wie in der Szene nach dem ersten Feuergefecht in Assault, wenn Laurie Zimmer Austin Stoker Feuer gibt.

Aber Assault ist bei allen Referenzen auch eine radikale Abkehr von Hawks und dem klassischen Hollywoodkino, vor allem was das Setting und die Konzeption des Bösen betrifft. Kent Jones schrieb 1999 im Film Comment: "Homage becomes abstraction and an entirely new object is created in the process." Assault beginnt mit Handkamera und eingeblendeter Uhrzeit als fast schon dokumentarische Erkundung eines urbanen Brachlandes irgendwo in LA, in dem Jugendbanden die Hoheit haben. Kurz darauf zeigt sich aber, dass Carpenter weniger an sozialen Phänomenen, sondern an einem klassischen Horrormotiv interessiert ist: den Armeen der Finsternis, die den letzten Hort des Guten belagern. Wie in Romeros Night of the Living Dead treten Motive und Gesichter der Gangs während der Belagerung mehr und mehr in den Hintergrund, verschwinden hinter der universellen Maske des Bösen, das sich nicht aus der Welt schaffen lässt und gegen das die Ordnungsmächte des Staates keine Mittel haben.

Assault führt in Reinkultur das zentrale Motiv der fünf besten Carpenter-Werke vor, das er selbst einmal als Tag-Nacht-Formel beschrieben hat und auch in Halloween, The Fog, The Thing und in Die Klapperschlange variiert. Während bei Hawks das Böse meist ein harmloser McGuffin ist, der die Helden eint und sich relativ leicht zu besiegn ist, sind Carpenters Filme erfüllt von einer Ahnung des absoluten Bösen, das sich nicht aus der Welt schaffen lässt. Es kann die verschiedensten Formen annehmen, ist aber nie relativ oder banal im Sinne eines psychologischen Bösen, das sich letztlich therapieren lässt. Dafür steht das Cholo der vereinten Gangs.

Die zeitgenössische Kritik betrachtete Assault in vorhersehbarer Weise vor allem in Bezug auf die in ihm dargestellte Gewalt und ihre Legitimation. Für und wider den Film sprach man sich aus je nachdem, ob der Bodycount einem durch moralische Kalkulationen gerechtfertigt schien. Die Aufregung, die Assault damals verursachte, lässt sich sehr schön an folgender als sensationsheischende Zeitungsseite aufgemachte Anzeige des Filmwelt-Verleihs ablesen, die 1979 anlässlich des Filmstarts in der Juni-Ausgabe der Szene Hamburg erschien:

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Das einsame Highlight ist der Text "Wichtelhirne" von Werner Herzog:
"Endlich hat der heuchlerische Teil der Kritiker in unserem Lande wieder Gelegenheit, sich leichten Beifall zu holen. Sprecht euch also wieder einmal gegen die Gewalt und den Krieg und für das Nette im Menschen aus, ihr Wichtelhirne! Aber so einfach ist das bei Assault – Anschlag bei Nacht nicht: richtig, die Gewalt ist sinnlos und anonym, aber so funktionieren eben unsere Angstträume, so funktioniert eben movie. Also: für Kanonen statt Butter! Für die freie Verfügbarkeit von Kernwaffen für jedermann! Ich danke der tz dafür, mich für das Böse im Menschen erklären zu dürfen."
Wie bei vielen ehemals umstrittenen Filmen, die man mit Abstand wiedersieht, fällt auch bei Assault auf, wie wenig die zeitgenössische Aufregung im Verhältnis steht zu dem, was man wirklich zu sehen kriegt. Wie mit allen Elementen verfährt Carpenter nämlich auch mit den Gewaltszenen ausgesprochen ökonomisch. Der Film ist wohl vor allem deshalb als extrem gewalttätig in Erinnerung, weil in ihm ein kleines Mädchen auf offener Straße erschossen wird. Nach diesem radikalen Auftakt ist jedoch nur wenig Blut und explizite Gewalt zu sehen, das früh etablierte Gefühl, das alles möglich ist, wirkt bis zum Ende nach.

Das prägende Actionelement sind fortan am (Hawks-)Western geschulte Shootouts, wobei auch hier eine Reduktion der Mittel äußerst unheimliche Effekte produziert: Der Einsatz von Schalldämpfern, das Verschwinden der Leichen, das Ausbleiben aller äußeren Erkennungszeichen eines Kampfes konfrontieren Helden und Zuschauer mit einer vollkommen neuartigen, urbanen und stillen Form von Gewalt, die man als terroristisch bezeichnen könnte. Ihre sichtbarsten Auswirkungen sind nicht verletzte Körper, sondern zersplitternde Scheiben, in der Luft herumwirbelndes Papier und Teile zersplitterten Mobiliars, deren Tanz die Phasen der Stille und des Wartens unterbricht.

John Carpenter: "I didn’t want any political or social messages at all. The evil outside was totally irrational and senseless." Das Setting, die ethnische Mischung der Helden und nicht zuletzt der Auftakt (Polizisten erschießen Jugendliche) lassen aber auch eine andere Lesart zu: Auch wenn das Böse irrational daherkommt, ist der Raum, in dem es sich entfaltet, ähnlich wie in Die Klapperschlange oder They Live, ein eindeutig sozial markierter. Assault spielt in einem Stadtgebiet, aus dem sich der Staat zurückgezogen hat, damit sich seine "asozialen" Bewohner selbst kontrollieren und dezimieren. Das ist eine From von Kontrolle, die das willkürliche Abballern von Jugendlichen ebenso umfasst wie das Ummauern ganzer Stadtviertel.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

ist das /der/ werner herzog, den du da zitierst? Ist ja der helle, frohlockende wahnsinn, das! :-D

Und ASSAULT: ein ganz großer wurf, definitiv einer meiner liebsten filme von john carpenter. erst vor kurzem wieder hat mich dieser film wieder rundum in seinen bann gezogen.

gerüchten zufolge soll das minimalistische grundthema des soundtracks (den ich ebenso sehr schätze) übrigens vom "immigrant song" von led zeppelin inspiriert sein. völlig abwegig finde ich das nicht.

grüße
thomas / filmtagebuch.blogger.de

TG hat gesagt…

Is your blog supposed to be the continuation of the last scene in the Taiwanese movie 'The Wayward Cloud'?

The Wayward Cloud hat gesagt…

@Thomas: Ja, das ist der Herzog Werner, der hier seinem Beinamen "Zorn Gottes" mal wieder alle Ehre macht. In der größeren Ansicht des Artikels kann man ihn gut erkennen. Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie "Assault" mit Led-Zeppelin-Untermalung wirkt. Ich sage mal vorsichtig: anders. Aber irgendwie meint man tatsächlich Carpenters Synthie durchzuhören.

@Nino: No. Even though I currently have a fellatio-drawing on my site this blog is not about blowjobs. Or about the "cultural meaning of coming in a girl's mouth" (Momus). I like Tsai's film, I like clouds, the name was available and I instantly had an idea for a corresponding subtitle which described perfectly what I wanted this blog to be: Formlos Nutzlos Schön (formless, useless, beautiful).

TG hat gesagt…

I speak German, too. But I am too lazy to write it, so used to English. Anyway, let's try:

Formlos, nutzlos, schön? Es hat eine form, es hat einen Nutzen, aber schön ist es nicht gerade :P Ich meine das Layout, aber die Geschmäcker sind verschieden. Viel Glück weiter, der Inhalt ist ausgezeichnet, darum wundern Sie sich nicht, falls ich zurückkehre und mal on-topic kommentiere :)