In vieler Hinsicht ein Gegenentwurf zu Il buono, il brutto, il cattivo, einem Film des Auftauchens aus dem Nichts, ist Giù la testa (1971), ein Film über das Verschwinden in das Nichts, der auch in restaurierter Pracht in Bologna zu sehen war. Während Ersterer mit einer leeren Landschaft beginnt, in die die Großaufnahme eines Gesichts hineingedreht wird, fängt Giù la testa mit einem Bild der Fülle an. An einem Baum herrscht das rege Treiben vieler Ameisen, die plötzlich durch eine von oben kommende Flüssigkeit weggespült werden. Die Kamera schwenkt auf die Füße eines Mannes, der sich gerade erleichtert hat, ein ganzes Volk weggepisst sozusagen. Die Ameisen sind nicht das Einzige, was in diesem Film mit großer Vehemenz ausgelöscht oder vielmehr: in Erde und Luft zurückverwandelt wird.
"Eine Revolution ist kein Galadiner." (Mao, zitiert von Sergio Leone)Menschen, Städte, Völker, ganze Landstriche werden in Giù la testa füsiliert, weggesprengt, dem Erdboden gleich gemacht. Die einzige Figur, die bis zum Ende überleben wird, ist Jean (Rod Steiger), ebenjener Mann, der am Anfang mit beiden Beinen fest auf dem Erdreich steht, aus dem er zu stammen scheint. Wie bei Tuco führt bei Jean das Handeln kaum über den Umweg des Kopfes und des Vorausplanens, alles ist Instinkt und Bauernschläue. Er ist ein Tier, dreckig und fruchtbar wie das Land selbst (seine Gang besteht aus einer unübersichtlichen Zahl seiner Söhne), genau wie es die lüsternen Bürger in der Kutsche am Anfang von ihm und seiner Klasse fantasieren. Doch er weiß darum, während sie, deren mahlende Mäuler und schmatzenden Zähne Leone in Großaufnahme filmt, glauben, etwas Besseres zu sein, wofür sie später nackt bei den Schweinen landen.
"I love close-ups because they express the soul. Usually cinema employs them to stress a particularly important event, whereas it is life itself: when we talk to one another or look at one another it’s a close-up. In the stagecoach, the camera getting closer and closer intends to turn the bourgeois faces into asses." (Sergio Leone, "Entretien avec Sergio Leone", Ecran 72, Nr. 5, Mai 1972, Interview mit Guy Braucourt)Jeans Gegenpart Sean/John (James Coburn), ein nach Mexiko geflüchteter irischer Revolutionär (oder Terrorist, wie man heute sagen würde), ist ein Mann der Ideale und des Kopfes. In Giù la testa, einem Film, der jede Form von Abstraktion und Idealisierung des Menschen ablehnt, ist er darum auch eine Figur, die viel Zerstörung bringt. Er ist Sprengstoff-Experte und damit ein Lochmacher par exellence, wie schon sein erster Auftritt eindrucksvoll zeigt. Nachdem er ein Loch in Jeans Gefährt gemacht hat und von diesem bedroht wird, lässt er aus einem Glas, das er immer bei sich trägt, einen Tropfen zu Boden fallen. Der entstandene Krater verleiht seinen Worten großen Nachdruck: "Kill me and you will have to redraw the maps of this country."
"Short fuse." (John mit einem Lächeln, nachdem sich einer von Jeans Spießgesellen mit einer seiner Dynamitstangen weggesprengt hat)In Giù la testa gibt es viele eindrucksvolle Beispiele von Figuren, die sich im wahrsten Sinne des Wortes in Luft auflösen. Von dem Mann aus Juans Bande, der probeweise einen Baum wegsprengen will, bleibt nur ein Loch übrig: seine Hutkrempe. Dr. Villega (Romolo Valli), ein zum Verräter gewordener Revolutionär, sucht Sühne, indem er sich bei der Kollision zweier Lokomotiven pulverisieren lässt. Und John, der schon ein paar Kugeln im Rücken hat, zündet sich am Ende des Films lächelnd eine Dynamitstange an und verwandelt sich in einen Feuerball aus Staub und Rauch, der sich im Himmel auflöst (Jean: "What an end"). Verstörender als diese fast schon komödiantischen Abgänge, die an Slapstick-Effekte des Verschwindens aus der Stummfilmzeit erinnern, sind die Formen moderner und effizienter Auslöschung, die den Hintergrund des Films bilden: Massenerschießungen, Panzerwagen, Massengräber.
"I used a historical context and a genre, the Western, as a pretext for talking about something else. The corpses in the cave, the ditch shooting and the governor’s escape by train refer to specific events (which the Italian audience knows) that occurred during the fight against fascism in Italy, namely, the discovery of 35o Jewish bodies in a quarry near Rome and Mussolini’s escape." ("Entretien avec Sergio Leone")In einer Brückensequenz, die stark an eine ganz ähnliche Episode aus Il buono, il brutto, il cattivo erinnert, verschwindet schließlich ein ganzes Bataillon von Soldaten in einer gigantischen Staubwolke, ähnlich wie im Showdown von Heaven’s Gate. Dynamit macht’s möglich. Der einzige Weg, der Auslöschung zu entgehen, ist schon im schönen italienischen Originaltitel von Leones Film ausbuchstabiert: "Giù la testa" bedeutet so viel wie "Kopf runter!" oder "Bück dich!" (was Todesmelodie als deutscher Titel bei Weitem vorzuziehen wäre). "Duck your head, sucker!" heißt es denn im Film auch jedes Mal aufs Neue, wenn John wieder eine Lunte angezündet hat.
Dass Il buono, il brutto, il cattivo letztlich wie ein optimistischer Film anmutet, in dem die Dinge aus dem Nichts erscheinen, während Giù la testa sehr düster ist und vom Verschwinden handelt, liegt vielleicht an der Differenz zwischen den Zahlen 3 und 2. In einer der (für mich) neuen Szenen aus Il buono, il brutto, il cattivo sagt Sentenza: "I always thought 3 is the perfect number." Ich vermute, dass auch Leone an die Magie dieser Zahl glaubt, es ist die Anzahl von Figuren, mit der die Dinge in Bewegung bleiben, sich fortentwickeln und mit der man, der Showdown zeigt das sehr schön, einen (Welten-)Kreis bilden kann. Die 3 bedeutet immer ein Zuviel oder ein Zuwenig, eine instabile Konstellation, aus der sich neue Situationen ergeben. Die 2 hingegen steht bei Leone für einen statischen Zustand, die einfache Figurenpaarung von Giù la testa wirkt jedenfalls sehr schwach und blass, richtige Freunde werden Jean und John trotz ihres Namen-Gleichklangs nie. Fast hat man den Eindruck, dass sie den ganzen Film nach einem gemeinsamen Dritten suchen, einem Freund oder Feind, über den sie ihre eigene Beziehung festigen könnten, aber sie finden nicht mal ein gemeinsames Ziel.
Der Sinn der eigentümlichen Sterbe-Fantasie von John, die im Weichzeichner gefilmte Kitsch-Sequenz aus Irland von ihm, seinem besten Freund und einem Mädchen, wie sie gemeinsam in Zeitlupe über ein Feld laufen, scheint für mich weniger darin zu liegen, eine harmonische und romantische Vergangenheit zu beschwören als eben jenes fehlende Dritte, das die Freundschaft zweier Männer besiegeln kann: die Frau, die beide lieben. Oder vielmehr: die Frau, die beide sich ohne Eifersucht teilen und gerade dadurch ihre tiefe Freundschaft besiegeln. Das erinnert mich an den Schluss von Howard Hawks’ The Big Sky (1952), den ich gestern gesehen habe, wenn Kirk Douglas seinem Freund Dewey Martin gram ist, weil er, der Freund, nicht zu der Frau zurückkehrt, die er, Kirk Douglas, von ganzem Herzen liebt. Als ob erst eine Frau, auf die man verzichtet, die Freundschaft zu einem Mann besiegeln kann.
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