30 März 2009

ES blickt zurück

Bizarre Cinema

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… ist aus und vorbei.

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"Nehmen wir den, im Bereich des Kinos, heute wahrscheinlich prominentesten Fall einer nostalgischen Faszination: den Trashfilm der 60er, 70er und 80er Jahre. – Was ist eigentlich so faszinierend an ihm? Es ist klar, dass wir uns nicht mehr mit ihm identifizieren können, die dramatischen Szenen aus Maniac, Das Schwert des gelben Tigers und Woodoo, Schreckensinsel der Zombies rufen heute Gelächter im Publikum hervor – und trotzdem bedroht diese Art von Distanz keineswegs ihre Faszinationskraft, sie ist vielmehr deren eigentliche Bedingung. Denn uns fasziniert ein bestimmter Blick, der Blick des "Anderen", des hypothetischen Zuschauers der 60er, 70er und 80er Jahre, der sich noch unmittelbar mit dem Universum des Trashfilms identifizieren konnte. Das ist es, was wir bei einem Trashfilm sehen, diesen Blick des Anderen. Wir sind fasziniert vom Blick des mythischen, "naiven" Zuschauers, der "das noch ernst nehmen konnte", der für uns, an unserer Stelle "daran glaubt". Deshalb ist unsere Beziehung zum Trashfilm immer geteilt und gespalten zwischen ironischer Distanz und Faszination: ironischer Distanz zu seiner diegetischen Realität, Faszination durch den Blick."

"Der unschuldig-naive Blick des Anderen, der uns an der Nostalgie fasziniert, ist in letzter Hinsicht immer der Blick eines Kindes." (aus: Slavoj Zizek, "Der Hitchcocksche Schnitt: Pornographie, Nostalgie, Montage". Die Passage "film noir der vierziger Jahre" wurde durch "Trashfilm der 60er, 70er und 80er Jahre" ersetzt, die Filmtitel Casablanca, Murder, My Sweet und Out of the Past durch Maniac, Das Schwert des gelben Tigers und Woodoo, Schreckensinsel der Zombies)

Wir kommen zurück!


Für Bammel

26 März 2009

Der Monsterking

Willkommen zum großen Monster-Wochenende mit Jörg Buttgereit! Los geht es am Samstag, den 28. März, um 20 Uhr im Berliner HAU 2 (Hallesches Ufer 32) mit Rough Cuts – Buttgereits Filmlektionen im HAU, Part 1: Monster (mehr dazu unten). Am Sonntag, dem 29. März, läuft dann ab 22.25 Uhr auf Arte Buttgereits neue Dokumentation Monsterland.


The Wayward Cloud hat sich mit Jörg Buttgereit über analoge und digitale, neue und alte Monster unterhalten (mit zwei Einwürfen von Thilo Gosejohann).

The Wayward Cloud: Hattest du einen festen Begriff von Monstern, bevor du mit der Arbeit an Monsterland begonnen hast?

Jörg Buttgereit: Mir ging es darum, sämtliche Monster vorzustellen, die mich in meinem Leben beeindruckt haben. Ich bin also weniger von einer festen Definition ausgegangen als von eigenen Erinnerungen und Vorlieben. Danach habe ich auch die Gesprächspartner ausgewählt, wobei einige der älteren Produktionen leider außen vor bleiben mussten. Ich hätte gerne mit jemandem gesprochen, der noch an King Kong von 1933 mitgewirkt hat, aber von der Crew ist niemand mehr am Leben. Das Filmmaterial aus dem Original ist übrigens auch viel teurer als das vom Remake von 2005, weshalb jetzt daraus eine Szene in Monsterland zu sehen ist. Mit Peter Jackson hätte ich auch gern gesprochen, aber der ist bis 2011 ausgebucht.

WC: Monsterland wirkt wie ein Requiem auf eine Zeit, als Monster noch von Hand gemacht wurden.

JB: Das stimmt, der Charme der Monster, die ich liebe, besteht darin, dass sie so künstlich und zusammengesetzt wirken, aber trotzdem eine Seele haben. Wenn die Japaner in ihre Godzilla-Kostüme schlüpfen, verleihen sie der Kreatur etwas Menschliches, mit dem man sich identifizieren kann. Das ist etwas, das durch die irgendwie noch immer seelenlose Computertechnologie zunehmend verloren geht. Kim Newman sagt ja auch an einer Stelle des Films, dass Monster eine vom Aussterben bedrohte Gattung sind.

WC: Deine Gesprächspartner kommen aus Japan und den USA. Welche Unterschiede gibt es zwischen östlichen und westlichen Monstern?

JB: Zuerst einmal muss man feststellen, dass es eine große Gemeinsamkeit gibt: In beiden Ländern waren die Monster meist Ausdruck realer Traumata oder Ängste, die durch diese Figuren verarbeitet wurden. Das lässt sich am besten an Godzilla erkennen, der ja, wie Joe Dante an einer Stelle anmerkt, die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki in fast schon allzu deutlicher Weise verkörpert. Für die USA lassen sich zum Beispiel die vielen mutierten Riesen-Insekten, die in den 1950er Jahren die Leinwände heimsuchten, als Verkörperungen der Angst vor einer kommunistischen Unterwanderung und Invasion sehen. In beiden Fällen ging es darum, die Angst in einem Wesen sichtbar zu machen und sie dadurch kontrollieren zu können. Der Unterschied zwischen Japan und den USA besteht vor allem darin, dass in Japan die Monster viel beliebter sind und schließlich zu Stars des Publikums werden. An Godzilla lässt sich sehr schön erkennen, wie aus einem fremden, zerstörerischen Feind im Laufe der Jahre schließlich ein Freund der Japaner wurde, eine Art Superheld, der das Land vor schlimmeren Gegnern bewahrte. Alle Japaner lieben Godzilla.

WC: Warum gibt es in Deutschland keine brauchbaren Monster?

JB: Deutschland hatte ja früher eine große Monster-Tradition, man denke nur an den Golem oder an die Horrorfilme der Stummfilmzeit. Das Problem ist, dass die meisten Künstler, die diese Tradition hätten fortführen können, zum Beispiel Karl Freund, Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau, in den frühen 30er Jahren in die USA emigriert sind. Nach dem Krieg haben diese Leute gefehlt, es gab niemanden, der den Deutschen ihr dringend benötigtes Monster vorsetzen konnte. Der Bedarf an Grauen war für dieses Land wohl auch erst mal gedeckt. Aber die Auseinandersetzung mit den Nazi-Gräueln hätte vielleicht früher beginnen und anders verlaufen können, wenn wir ein eigenes Monster gehabt hätten das sich für uns mit unseren Ängsten auseinandersetzt.

WC: Mit welchem Monster ließe sich das deutsche Grauen verarbeiten?

JB: Im Grunde habe ich genau so ein Monster für Captain Berlin versus Hitler geschaffen. Adolf Hitler is back! Das ist das größte deutsche Monster. Die Amerikaner haben das schon in den 40er Jahren entdeckt und Hitler als Superbösewicht in Comics dargestellt.

WC: Ist Captain Berlin nicht auch ein Monster?

JB: Superhelden sind die moralische Instanz, die die Monster in Schach halten und die bösen Geister bezwingen können. Captain America ist ja nur erfunden worden, um Hitler zu verprügeln, und wir haben jetzt den deutschen Superhelden dazuerfunden. Aber der Urtyp eines Monsters steckt da auch schon drin.

Thilo Gosejohann: Wobei Captain Berlin ja keine Superkräfte hat. Im Gegenteil, kaum taucht er auf, kriegt er auf die Fresse und liegt auf dem Boden.

JB: Das liegt aber eher an unserem Unvermögen. Wenn wir Herrn Eichinger für Der Untergang 2 gewonnen hätten, könnte Captain Berlin vielleicht sogar fliegen.

Gutes gegen böses Monster: Captain Berlin versus Hitler

WC: In Monsterland kommen nur Männer zu Wort. Sind Frauen nicht von Monstern fasziniert?

JB: Ich habe überlegt, ob es Frauen gibt, die Monsterfilme gemacht haben, aber die gibt es kaum. Die Einzige, die sich zumindest ein bisschen im Genre getummelt hat, war Kathryn Bigelow, die damals mit James Cameron zusammen war. Aber Near Dark ist ja eigentlich kein Monster-, sondern ein Vampirfilm. Bei der Pressevorführung in Berlin kam hinterher auch eine Dame auf mich zu und fragte: „Warum sind denn da keine Frauen drin?“ Ich hab’ halt keine gefunden. Aber das ist okay, denn wie man ja auch bei der Convention G-Fest in Chicago sieht, sind Monster ein Nerd-Thema. Das ist einfach zu bescheuert, zu verspielt. Für das Thema wird man ja meistens in seiner Jugend begeistert, und da haben Mädchen einfach nicht diese Lust daran, ihre eigenen Grenzen auszuloten. Das ist die Ausnahme. Monika M., die Hauptdarstellerin aus Nekromantik 2, haben wir angesprochen, weil sie als einzige Frau in einem Fulci-Film saß. Wir dachten, ok, da ist was faul.

TG: Es stimmt ja auch nicht, dass Frauen nicht gerne Horrorfilme sehen. Sie drehen zwar selbst keine, aber mitgucken tun sie schon gern, wobei sie viel wegsehen.

WC: Ich habe auch oft den Eindruck, dass Frauen weniger die Gewalt abschreckt als die Künstlichkeit und Redundanz vieler Genres. Godzilla-Filme sind sich in ihrem Grundgehalt ja immer sehr ähnlich, aber die männlichen Nerds lieben es, die kleinen Differenzen zu registrieren.

JB: Godzilla ist natürlich auch eine prima Identifikationsfigur. Als Jugendlicher fühlt man sich ja genauso missverstanden und hat das gleiche Größenverhältnis zu seinen Spielzeugsoldaten. Godzilla ist für Jungs ein Role Model. Das gilt für viele Monster, die werden auch nicht verstanden von ihrer Umwelt.

WC: Welche Erklärung hast du damals deinen Eltern für deine Monsterlust gegeben?

JB: Die haben mich nie nach einer gefragt. Im Gegenteil, mein Vater war ein richtiger TV-Junkie, der sich gefreut hat, wenn ich mitgeguckt habe. Schon als ich vier war, hat er mich nachts geweckt, wenn King Kong oder Frankenstein im Fernsehen kam. Damals war das ja noch eine Seltenheit, dass solche Filme im TV ausgestahlt wurden. Wir haben uns die dann gemeinsam angesehen.

WC: Haben deine Eltern die Nekromantik-Filme gesehen?

JB: Ja, das hat aber auch keine große Reaktion gegeben. Ich erinnere mich noch, wie mein Vater aus dem Kino kam und sagte, was er immer nach Filmen sagte: „War janz jut.“ Später hat er die Videokassette von Nekromantik an seine Kumpels verliehen. Die haben das wegkonsumiert wie jeden anderen Film auch.

WC: Warum haben wir Mitleid mit Monstern?

JB: Das liegt daran, dass sie uns letztlich so ähnlich sind. Sie sind allein, so wie wir uns häufig fühlen, sie sind unverstanden und verstoßen, und meistens gibt es etwas, was sie haben wollen: Fleisch, Blut, eine weiße Frau. Die damit einhergehende Einsamkeit können wir ebensogut nachvollziehen wie die daraus resultierende Lust, zurückzuschlagen.

WC: Wie erschafft man ein Monster?

JB: Monster haben immer etwas mit gesellschaftlichen Ängsten zu tun, das ist ein guter Ausgangspunkt für das Erschaffen eines neuen. So viel grundsätzlich neuartige schreckliche Sachen passieren ja aber nicht, dass man ständig neue Monster kreieren müsste. Ich habe mich lange gefragt, wann denn endlich die 9/11-Aufarbeitung stattfindet. In den letzten Jahren sind die ersten in diese Richtung gehenden Monster entstanden. Der Joker aus Christopher Nolans The Dark Knight verkörpert für mich den Terroristen als ein vollkommen irrationales Wesen, das überall und nirgends zugleich ist. Den Event selbst, den Angriff auf New York, stellt Cloverfield dar, in dem das weitgehend unsichtbare Monster die Symbole der Stadt zerstört. Wenn der Kopf der Freiheitsstatue durch die Gegend fliegt, erinnert das stark an das Zusammenbrechen der Zwillingstürme. Hier stürzen Wahrzeichen und mit ihnen der amerikanische Traum in sich zusammen.

Ein Monster für das 21. Jahrhundert?
Der Joker aus Cristopher Nolans The Dark Knight


WC: Das Spannende an solchen Filmen ist auch, dass in ihnen nicht nur die Angst vor der Zerstörung, sondern auch die Lust daran zum Ausdruck kommt.

JB: Aber das dauert immer eine Weile. Ich erinnere mich an lange Diskussionen und ein Interview mit J. D. Lees, dem Herausgeber der Godzilla-Fan-Zeitschrift G-Fan, das kurz nach dem 11. September 2001 erschien. Es ging um die Frage, ob man überhaupt noch Godzilla-Filme gucken dürfe, weil da ständig Wolkenkratzer zerstört werden. Diese Unsicherheit hat sehr lange angehalten.

WC: Joe Coleman sagt am Ende von Monsterland: „Die Meister des Horrors haben am meisten Angst. Wir wären nicht so besessen, wenn wir uns nicht vor Angst in die Hose scheißen würden.“ Trifft das auch auf dich zu?

JB: Ja, klar. Man beschäftigt sich mit diesen Dingen, weil man Angst vor ihnen hat. Hinter allem steckt die Furcht vor dem Tod. Wenn man damit nicht fertig wird, muss man einen Umgang damit finden und sich irgendwie darauf vorbereiten. Monster sind dafür ideal.

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Samstag, 28. März, 20 Uhr im HAU 2, Berlin: Rough Cuts – Buttgereits Filmlektionen im HAU, Part 1: Monster
Pressetext: In der Serie Rough Cuts nimmt Jörg Buttgereit sich Ikonen populärer Filmgenres vor, um sie in einmaligen Kurz-Inszenierungen thematisch zuzuspitzen. Monster sind das Rohmaterial des ersten Abends. Denn die klassischen Monster haben im neuen Jahrtausend angesichts neuer Bedrohungen ihren Schrecken verloren. Der Abend beschwört den berechenbaren Grusel der alten Creature-Features. Buttgereit zeigt monströse Kurzfilme, die er vor 25 Jahren gedreht hat. Nach einleitenden Worten von Dr. Julie Miess zur neuen Generation von Monsterheldinnen wird sich Adolfo Assor vor den Augen der Zuschauer in ein Monster verwandeln und Tote zum Leben erwecken. Die Inszenierung wird live vertont von Andrè Abshagen und Monika M. Im Anschluss laden DJ Buttgereit und VJ Mr. Target zur Monster-Lounge ins Foyer.

Sonntag, 29. März, 22.25 Uhr, Arte: Monsterland
Wiederholungen: 3. April um 0.55 Uhr und 9. April um 0.35 Uhr

22 März 2009

Blaxploitation-Jingles #4

Teil 4 der Serie: TNT Jackson













Der angekündigte Wochenrhythmus für die Vorstellung meiner Radio-Jingles ist akuter Bocklosigkeit und notwendigen Geldbeschaffungsmaßnahmen anheim gefallen. Ich gelobe Besserung! Steigen wir also wieder ein in die Welt der harten schwarzen Frauen und Männer, denen die Rache, die Gier oder der Gerechtigkeitssinn zur Triebfeder wurden.

TNT Jackson ist einer dieser Filme, die mit dem Idiotenurteil "So schlecht, dass er schon wieder gut ist" belegt werden. Dabei wurden abseits der austauschbaren Rachestory und der unfassbar ungelenken Martial-Arts-Kampfszenen wundervolle Großstadtbilder geschossen, die dem Ort der Handlung, Hong Kong, exotische Schönheit attestieren, und wenn sich auch an den meisten Stellen des Filmes wenig Gedanken gemacht wurde, die Bilder und die Ausstattung sind wundervoll. Gut, ich gebe zu: Ein 70er-Jahre-Großstadtthriller wird mich nie enttäuschen. Die Mischung aus Gefahr, Verlockung, Moderne und sozialem Elend, kurz: die Ästhetik des Großstadtjungels ist einfach unschlagbar. Zudem beruhigt mich der Gedanke, dass Filme wie dieser kommerziell nicht untergingen; es reichte aus, dass ein paar Kopien in Bahnhofskinos liefen. Das Marketingkonzept war längst ein Selbstgänger: Ein aufreizendes Filmplakat, ein Starlet und ein actiongeladener Radio-Jingle reichten aus, um ein paar Jugendliche ins Kino zu locken und die Kosten zu decken. Eine irgendwie heile Filmwelt!

Noch ein Wort zu Hauptdarstellerin Jean Bell (manchmal auch Jeannie oder Jeanne Bell geschrieben), die auf eine zwei Jahrzehnte umfassende Schauspielkarriere zurückblicken kann. 1969 zog sie sich für den Playboy aus, was dann folgte, war ein klassisches Hollywood-Karteileichendasein, immer wieder ein paar Rollen in B-Movies, aber auch in echten Klassikern: sie spielte die Diane in Martin Scorseses Mean Streets. Meine schmutzige Fantasie imaginiert sabbernde Hobby-Managertypen, die ihr "Ich bring dich ganz groß raus!" mit ausgebeulter Hose hervorpressen, und zigarrerauchende Studiobosse, die ihren Castingagenten zuraunzen: "We need a nice nude black chick for the Ghettokids." Tatsächlich gibt es kaum einen Film, in dem sie sich nicht im Evakostüm präsentierte, aber ihr schien das Schauspielerdasein offensichtlich attraktiver, als bis zum Rentenalter Zöpfe in einem Friseursalon zu flechten oder bis zum Exitus Hausfrau in einem Elendsviertel zu sein. Das muss man gewiss nicht als Feminismus auslegen, aber als Versuch, ein besseres Leben zu führen, ist es mindestens so anerkennenswert wie die Schönheit, die auch in einem Film wie TNT Jackson steckt.

Ganz zu schweigen von dem Radio-Jingle, der von einer Revolverschnauze eingesprochen – nein, eingebellt wurde. Wie ein Rapper auf der Überholspur reiht der unbekannte Sprecher Superlative und Phrasen aneinander, unterlegt mit wildem Bongogetrommel, Schüssen, Sirenen und Aufs-Maul-Geballer, und verspricht dabei weit mehr, als der Film hält.

19 März 2009

Der den Schnee liebt

Ceylan ist ein Meister im Einfangen der Jahreszeiten, am besten kann er jedoch Schnee modellieren: als Landschaft, als Leere, als Niederschlag, den man fast auf der Haut zu spüren scheint und der in den Momenten äußerster emotionaler Kälte fast für so etwas wie Wärme sorgt. ("Der den Schnee liebt. Die Filme des türkischen Regisseurs Nuri Bilge Ceylan." epd Film 3/2009)

Curved street in winter (Nuri Bilge Ceylan, Istanbul 2004)

Der filmische Kosmos des Nuri Bilge Ceylan expandiert weiter, das zeigt auch sein neuester Film Drei Affen, für den er letztes Jahr in Cannes den Preis als bester Regisseur gewann. Anstelle von Verwandten stehen jetzt Profis vor der Kamera, statt Natur- herrschen Innenaufnahmen vor, die Erzählung mit ihrer Betonung von Schuld und bürgerlichen ­Lebenslügen ist etwas konventioneller geworden, es überwiegen jetzt Close-ups von Gesichtern, die ihre Geheimnisse nicht preisgeben. Alles ist neu im neuen Film von Nuri Bilge Ceylan und alles beim Alten. Das Universum breitet sich aus. Die Welt wird kälter. Die Menschen entfernen sich voneinander und schweigen. ("Der den Schnee liebt. Die Filme des türkischen Regisseurs Nuri Bilge Ceylan." epd Film 3/2009)

Golden Horn in winter (Nuri Bilge Ceylan, Istanbul 2006)

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Ab heute im Kino: Drei Affen von Nuri Bilge Ceylan

Die Fotos stammen aus der Serie Turkey Cinemascope. Diese und viele andere Bilder von Nuri Bilge Ceylan finden sich auf seiner Website.

16 März 2009

Viva Knepperges!

Eine Hommage an Rainer Knepperges. Oder: Über die Kunst, das Eigene mit fremden Worten auszudrücken und das Naheliegende im Entfernten zu finden. Auch die Form ist ein Zitat.

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Es gibt keinen besseren Weg, einen Text kennenzulernen, als den, ihn abzutippen. (Harun Farocki, Filmkritik 1977, S. 359. Zitiert von Rainer Knepperges in "The Green of the Grass. Harun Farocki in Filmkritik". Ins Englische übersetzt von Roger Hillman und Timothy Mathieson, ins Deutsche zurückübersetzt von The Wayward Cloud)

Man muss nur sehen, dass es immer zu jeder Zeit alle Möglichkeiten gibt. Man glaubt nur, man könne die im Moment nicht nutzen, weil die Mode anders ist. Das ist genau wie mit den gelben Telefonzellen, die ja angeblich deutschlandweit durch die grau-magenta Säulen ersetzt worden sein sollen. Aber man muss nur ein paar Kilometer aus den Städten rausfahren, dann stellt man fest, dass die gelben Zellen noch überall stehen. Die Telekom hat es mit ihrer Kampagne nur geschafft, sie aus dem öffentlichen Bewusstsein zu verdrängen. Wir sind während der Dreharbeiten (zu Die Quereinsteigerinnen) sogar Dorfbewohnern begegnet, vor deren Haustüren gelbe Telefonzellen standen und die felsenfest davon überzeugt waren, dass es sie nicht mehr gibt. (Interview mit Rainer Knepperges über Die Quereinsteigerinnen im Freitag vom 25.8.2006. Hier kann man dabei helfen, die letzten gelben Zellen in Deutschland zu kartografieren)

Die Schöne und der Schatzinsel-Leser:
Nina Proll und Rainer Knepperges in Die Quereinsteigerinnen


5. Peter Nau: Spätlese (CICIM, Oktober 1998) "Ich war nierdergeschlagen und zerquält, aber auf unzusammenhängende, dumpfe Art. Ebenso gut wie einen Plan für die Zukunft hätte ich einen Elefanten hervorbringen können. Als ich die Fensterläden öffnete und in den düsteren, nassen, stürmischen Morgen hinaussah, als ich Zimmer um Zimmer durchmaß, um mich schließlich doch wieder zitternd am Feuer niederzulassen, dachte ich unaufhörlich, wie unglücklich ich sei, wusste aber kaum, warum oder wie lang ich es schon sei oder an welchem Wochentag ich diese Betrachtung anstellte oder wer ich selber sei, der sie anstellte." Verfalle ich in einen solchen Zustand, wie Charles Dickens ihn hier schildert, dann greife ich nach einem Text von Peter Nau, nach irgendeinem, ganz egal. Umgehend tritt Linderung ein. ("Bibliothek Götz. SGE-Autoren berichten über das Wertvollste aus ihren Bücherregalen: Lektüre, die Weichen gestellt und Persönlichkeit geprägt hat, und Gedrucktes, das als Sammlerstück zum Fetisch wurde", SigiGötz Entertainment, Die zehnte Spanne)

ZAUNGÄSTE – ZZA PLOTU beginnt vor einer Zoohandlung. Passanten kreuzen einzeln oder paarweise, gerade oder diagonal, die sonnige Straße. Und ein weißer Schmetterling fliegt durchs Bild. An diesem aber ist etwas Ungewöhnliches, das keinesfalls übergangen werden darf. Man könnte nämlich sagen, dass der Schmetterling genau den Moment abwartet, in dem die Szenerie plötzlich leer ist; als wolle er nicht, dass etwas von ihm ablenkt. Man könnte auch sagen, dass die Menschen und Autos dem Schmetterling kurz die Bühne überlassen - aus Respekt. Beides ist natürlich Unfug. Aber es ist das, was zu sehen ist: Eine sinnlos schöne, irrsinnig komplizierte Choreografie. Als begänne in diesem Ostseestädtchen wie selbstverständlich ein Oscarprämiertes Musical aus den Sechzigern, mit buntgekleideten Menschen und dressierten Insekten. (Über Matl Findels Zaungäste, 24 – Kinozeitschrift, zu erwerben bei antidot.jofer@web.de für 4 Euro)

Große Freiheit Nr. 7 (Helmut Käutner, 1944) – Hans Albers verliebt sich in Ilse Werner, und zwar ganz gewaltig. Da kommt Hans Söhnker daher. Ordentlicher Regen, Sauferei und Traum. Nie war das deutsche Kino französischer. Die Texte zu Werner Eisbrenners Liedern schrieb Käutner selbst. Eine Lust, eine Schwermut und eine Art zu sprechen wie hier, die gibt es erst wieder dreißig Jahre später in Rocker. ("Der Kanon des deutschen Films", SigiGötz Entertainment, Die zwölfte Fügung)

Das Filmemachen in Running Out of Cool, auch wenn es nur um die heiße Zeit davor geht: Es ist gegenseitige Überforderung, Reizung, Sex, Konkurrenz, Kumpanei. Die Lebenslust, die dabei sichtbar wird, verlangt eine irre Selbstbehauptung. Die läuft übers Sprechen. Und das ist natürlich keine gepflegte Mitteilungsform, sondern – wie bei Hawks – haarsträubende Action. Wer sich nicht um Kopf und Kragen reden mag, bleibt blass. Jean-Marie Straub war so wichtig, sagt Lemke, wegen der Art, wie Straub redet. Zum eigenen Schutz ist Lemke pseudoantiintellektuell. Aber seine Filme sind ohne Deckung. Als roter Faden gehen Geschichten von Jungs und ihren älteren Vorbildern durch das Oeuvre. Einen toll finden, selber toll sein wollen, darum geht's. Die verrückten Liebesgeschichten, die er erzählt, sind davon vollgesogen. Ich behaupte, dass seine feste Position im filmpolitischen Abseits da herrührt. Denn vom Überleben durch bloße Selbstbehauptung und durch deren ansteckende Ausbreitung zu handeln, ist nicht wirklich respektabel. In Lemkes Filmen sieht man, was sonst auf der Leinwand nie zu sehen ist: Leute, die rot werden. ("Leute, die rot werden". Erschienen in Brigitte Werneburg (Hg.): Inside Lemke. Ein Klaus Lemke Lesebuch)

If you don't read thrillers it might not be possible to understand why such a film deserves to be admired. I attain lightness of touch, pace, and a feeling of happiness when I succeed in throwing the washing into the machine, registering a letter at the post office and return to the laundromat at the very moment the tub stops rotating. Red Line 7000 (Howard Hawks, USA 1965) is about the stupidity of life, excessively, without letting itself be influenced by its subject. (Harun Farocki, Filmkritik. Zitiert von Rainer Knepperges in "The Green of the Grass. Harun Farocki in Filmkritik". Ins Englische übersetzt von Roger Hillman und Timothy Mathieson)

Kürzlich konnte ich nicht anders, ich musste einen Filmmonolog in seiner ganzen Länge abtippen: "Es war im Golf von Pueblo Hindenburg auf den Bahamas. Das war in der Zeit damals mit Orson. Eine leichte Brise trieb unseren Katamaran aus der Lagune in die offene See. Wir bemerkten es nicht. Orson hatte mir gerade das Boot abgewonnen. Ich hatte Full House mit drei Damen. Er einen Achterpoker. Jetzt ging es um meine Schwester in Paris. Plötzlich war Orson verschwunden. Die Saugnäpfe der Riesenkrake zogen den Lack vom Bootsdeck. Meine Freunde, die Eingeborenen, nennen sie die Neunschwänzige. Ich brüllte: Orson! Ich hatte einen Flash auf der Hand und das Boot gehörte schließlich ihm. Das Meer war wie Blei, auf dem das einzige Auge der Krake schwamm." So spricht 1968 der gesellige Bösewicht in Klaus Lemkes zweitem Film NEGRESCO**** (Drehbuch: Max Zihlmann). Serge Marquand, dessen stolzes Lächeln ungewöhnlich lange Zähne zeigt, hat die Synchronstimme Robert Redfords (Rolf Schult) und lässt sich ganz unbekümmert vorwerfen, die Geschichte habe er nun schon mehr als einmal erzählt. Gut gelaunt fährt er fort: "Es war der graue Kardinal, der gehasste Einzelgänger unter den Mörderrochen, wie ihn mir meine Freunde oft beschrieben hatten. Er segelte über mein Boot. Ich konnte das Glitzern seiner rasiermesserscharfen Schwertflossen wahrnehmen. Die Krake war wie gelähmt. Und so zerschnitt der graue Kardinal ihr das Auge. Die Südsee verwandelte sich in einen Vulkan. Wie Lava-Stöße stieß die verwundete Krake ihre Fangarme in den azurblauen Himmel der Südsee, doch unfähig, da blind, den Kardinal zu treffen. Plötzlich sah ich Orson. Die Neunschwänzige hatte ihn erwischt. Er wirbelte hoch, glitschte über das Deck des Bootes, kam vor mir zu liegen – und lachte!" ("Die Kraft gesprochenen Wortes", New Filmkritik 6.6.2008)

Vielleicht weiß nicht jeder, dass Zihlmann Drehbuchautor der ersten Filme von Thome und Lemke war. Howard Hawks und Waldfreibäder sollte eigentlich jeder kennen. (Rainer Knepperges und Christian Mrasek im E-Mail-Interview mit Thomas Willmann über ihre Einflüsse)

Nahe dem Busbahnhof lagen an meinem Schulweg zwei Kinos, in die, mittags unbeleuchtet, lange Gänge führten, mit viel Platz für Aushangkästen. Da die Kinos jeweils nur einen Saal hatten, war die Mehrzahl der Filmwerbung Vorankündigung. Das "Demnächst" war in diesen Foyers, was das "Amen" in der Kirche ist. Heute haben die allerwenigsten Kinos die Möglichkeit, auch nur für jene Filme, die gerade laufen, üppig mit Aushangfotos zu werben. Für Verheißung und Vorfreude fehlt völlig jeder Raum. In jeder Ecke stehen sogenannte Aufsteller rum, die der Blick nur müde streift. Ein Betrachten, wie es die lockenden Standfotos forderten, findet kaum mehr statt. Aber in die aufs Ungewisse, aufs Kommende gerichteten Kinoflure meines Schulwegs gerate ich manchmal noch im Traum. ("Demnächst", SigiGötz Entertainment, Die elfte Stufe)

Die Säle, die ich am häufigsten aufsuchte, waren die innerstädtischen Kinocenter, also eigentlich gar keine Säle, sondern zerlegte, umgebaute Nischen, Balkone, Keller- und Foyerecken, in deren verschlungenen Fluren aufgehängte Aushangfotos und Plakate zum Diebstahl einluden. Die aufregend engen Filme von Larry Cohen und Joe Dante, von Scorsese und De Palma konnten damals mitunter die Illusion erwecken, sie wären in diesen Kinos, gleichsam vor Ort, entstanden. Die Deckenverkleidung aus Kork in King of Comedy. Die orangene Palmentapete in Scarface. Das finstere Grinsen dieser Filme brannte sich ein, wie Feuer in die Wände von Katakomben. Den "offenen" und "großzügigen" Multplexen ziehe ich die Schachtelkinos bis heute vor. Dort, an Orten mit Namen wie UFA 7, habe ich noch nie daran gedacht, dass mir irgendwer den Zugang zu irgendwas versperren könnte. Der Erstickungstod im Arthouse ist mir jedoch gewiss, sollte ich da in was geraten, das einen Titel hat wie Die fetten Reichen sollten mal meine selbst entworfene Jugendbewegung kennenlernen. ("Neunzehnhunderteinundachtzig", SigiGötz Entertainment, Das siebente Verfahren)

In bisher ungeklärtem Zusammenhang empfehle ich diesen erstaunlichen Filmausschnitt auf der Webseite des Radiosenders WFMU. Es geht um Kartoffelsalat. ("Jungen und Mädchen und Kartoffelsalat", New Filmkritik 6.2.2009)

Die Gestalt des Todes in der Groteske des Mittelalters und der Renaissance schließt stets ein Element des Komischen ein (das gilt auch für die darstellenden Künste, zum Beispiel für Holbeins Totentanz oder für Dürer). Der Tod ist immer mehr oder weniger ein komischer Popanz. Spätere Zeiten und besonders das neunzehnte Jahrhundert verlernten es, das Moment des Lachens aus solchen Gestalten herauszuhören. Sie fassten diese Gestalten ausschließlich und einseitig auf der Ebene des Ernstes auf, wodurch sie verflacht und entstellt wurden. Das bürgerliche neunzehnte Jahrhundert hatte nur für das rein satirische Lachen Respekt, das im Grunde ein lachfeindliches, rhetorisches Lachen war: ernsthaft und belehrend (nicht umsonst wurde es mit der Geißel oder der Rute verglichen). (Michail Michailowitsch Bachtin zitiert von Rainer Knepperges in "Göttliche Komödie", New Filmkritik 20.9.2008)

Eine herrliche Angst ist das, wenn ich spüre, dass nun plötzlich nicht mehr die Bedrohung innerhalb des Films mich verängstigt, sondern der Film selber. ("Die Verdoppelung des heiligen Antonius". Über die 82. Minute von The Night of the Hunter. In: Minutentexte, hg. von Michael Baute und Volker Pantenburg)

In Deutschland gab es ja auch schon mal eine Zeit, als Sprechen als frohe Tätigkeit verstanden wurde. In den fünfziger Jahren wurden die besten Filme, nämlich die amerikanischen, von den Wenzel-Lüdecke Studios verteufelt gut synchronisiert. Dass zum Beispiel Marion Degler sowohl Sophia Loren als auch Audrey Hepburn ihre Stimme lieh, hatte für mich immer etwas von einem erotischen Mysterium. Damals wurde die Trennung von Sprache und Bild aufs Interessanteste vollzogen, weil die vertrauten Stimmen durch die unterschiedlichsten Filme geisterten. Meiner Meinung nach sollte man im Filmmuseum mal eine Reihe aller Filme zeigen, die Rainer Brandt durch seine Synchronisationen verbessert hat, die Bud-Spencer-Filme, Die Zwei usw. Das wären dann endlich mal wieder Ferien für die Sprache als Bedeutungsträger. (Interview mit Rainer Knepperges über Die Quereinsteigerinnen im Freitag vom 25.8.2006)

Wenn der Tod der VHS-Kassette nicht gebührend betrauert wird, dann aus Geringschätzung des Unbeabsichtigten ganz allgemein. Es gibt auf manchen alten Bändern dieses krude "Hintendran" und "Zwischendrin", das beim Überspielen ungewollt entsteht. Durch brodelnde Spratzer hindurch, aus elektrischen Wogen tauchen die Enden von Filmen auf, die man nie mehr sehen wollte. Wie Gespenster spotten sie: "Du wolltest mich vergessen, aber hier bin ich." Und manchmal freut man sich sogar. Die Rückseiten von Zeitungsausschnitten sind meist interessanter als die Vorderseiten, hat Farocki mal geschrieben. Wer, anders als die schweigende Mehrheit, seinen Videorekorder tatsächlich auch zum Aufnehmen zu gebrauchen weiß, der ist im Besitz solcher Kassetten, in denen sich Filmschlüsse abgelagert haben wie Erdschichten. In Stufen liegt da der Wandel im persönlichen Filmgeschmack offen zu Tage. Lehm, Kalk, Kohle unf Erz. ("Die Tiefe der Schublade", SigiGötz Entertainment, Die dreizehnte Wiege)

Während einer Reise ins Kino zu gehen hat mich noch nie enttäuscht. (Harun Farocki, Filmkritik 1975, S. 539. Zitiert von Rainer Knepperges in "The Green of the Grass. Harun Farocki in Filmkritik". Ins Englische übersetzt von Roger Hillman und Timothy Mathieson, ins Deutsche zurückübersetzt von The Wayward Cloud)

Vom Anlass der Reise und von meiner großen Freude,
dass die
Quereinsteigerinnen im schönen alten Clifton Kino
ein amerikanisches Publikum ordentlich zum Lachen brachten,
bleibt wie von jeder Freude nur die Erinnerung daran,
also nicht allzu viel. In weiser Voraussicht arrangierte ich deshalb
in der Leihbibliothek dieses Bild, das mich immer wieder neu erfreut.
("In Amerika", New Filmkritik 2.3.2008)


Dass die Leute in Uruguay den ganzen Tag im Cafe sitzen und alle Arbeit haben, das ist tatsächlich unwahrscheinlich. Unwahrscheinlich schön. (Rainer Knepperges und Christian Mrasek im E-Mail-Interview mit Thomas Willmann über ihre Einflüsse)

4. Elisabeth Volkmann in Klimbim. Durch sie nahm die Sünde Gestalt an, bekam ein Gesicht, eine Stimme und hatte Titten. Plötzlich öffnete "der Abgrund des Geschlechts sich wie der der Familie" (Walter Benjamin). ("In den Ecken war es rund. SGE-Autoren aus drei Generationen berichten über ihre persönlichen TV-Highlights", SigiGötz Entertainment, Das achte Zeichen)

In der Schnittphase unseres Films (Die Quereinsteigerinnen) sprach er (Klaus Lemke) mir goldene Trostworte auf den Anrufbeantworter: "Cowboy! Das Tal der Tränen ist etwas, durch das man durch muss. Film ist kein Mädchensport – kein klassischer Mädchensport." ("Leute, die rot werden". Erschienen in Brigitte Werneburg (Hg.): Inside Lemke. Ein Klaus Lemke Lesebuch)

Über die Cheeseburger, mit denen Paul Winfield das wütende Tier füttert, und darüber dass Marshall Thompson, bekannt aus Daktari, zigarrerauchend Truffaut zitiert, wäre noch viel zu sagen. (Kritik der Criterion-DVD von Sam Fullers White Dog, Cargo 01/2009)

Ich bin ohnehin gegen Recherche. Besser ist es, man stößt auf etwas, das am Weg liegt. Dabei kann man sicher sein, dass man nicht allein ist.
("Demnächst", SigiGötz Entertainment, Die elfte Stufe)

In meinem Heimatort, als mein Vater jung war, spielte man einem Betrunkenen, der am Kneipentisch einschlief, einen bösen Streich. Man löschte alle Lichter und tat in völliger Finsternis so, als streite man lautstark beim Kartenspiel. Der Geweckte musste glauben, er sei erblindet, und schrie vor Angst. Die Brüsseler Cinematek zeigt am Dienstag MATINEE (von Joe Dante, 1993) und THIRTEEN GHOSTS (von William Castle, 1960), am Donnerstag STRAIT-JACKET (1964), am Samstag ZOTZ! (1962) und HOMICIDAL (1961), am Sonntag THE NIGHT WALKER (1964) und HOUSE ON HAUNTED HILL (1959). Im Juni wird das Münchner Filmmuseum Filme von William Castle zeigen. ("Humbug, Grimasse und Tod", New Filmkritik, 16.3.2009)

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Dienstag, 17. März, 22.55 Uhr, 3sat: Die Quereinsteigerinnen von Rainer Knepperges und Christian Mrasek

Mittwoch, 8. April, 23.45 Uhr, ZDF: Dancing With Devils von Klaus Lemke

08 März 2009

Sitemeter Voodoo

Eine der größten Verlockungen des Bloggens verbirgt sich hinter dem kleinen Symbol, das oben abgebildet ist. Bei The Wayward Cloud findet man es unterhalb der "Interviews"-Leiste auf der rechten Seite. Wenn man darauf klickt, öffnet sich die Hauptseite von Sitemeter, Anbieter eines der gebräuchlichsten Statistik-Tools im Internet, mit dem Betreiber von Websites einen Überblick darüber erhalten können, wie ihr Angebot genutzt wird. Wie viele Leute kommen pro Tag, in der Woche, im Monat, wie lange bleiben sie, welche Seiten schauen sie sich wie lange an? Nach Eingabe der entsprechenden Zugangsdaten öffnet sich bei Sitemeter folgendes Fenster:


Die "Site Summary" ist vor allem deshalb interessant, weil man hier anhand des "Average per Day" und der "Average Visit Length" erkennen kann, ob es mit den Besucherzahlen und der Verweildauer aufwärts oder abwärts geht. Die Zahlen sind Durchschnittswerte für eine Woche und werden alle 24 Stunden um 0 Uhr neu berechnet. Von Samstag, den 28.2., bis Samstag, den 7.3., hatte Wayward Cloud 229 Besucher. Geteilt durch 7 Wochentage ergibt das einen Tagesdurchschnitt von 32,71, der auf 33 aufgerundet wird. Im Schnitt bleibt jeder Besucher 1:10 Minuten, obwohl der Wert wohl eigentlich etwas höher liegen müsste. Viele der Verweilzeiten werden nämlich mit 0:00 Minuten angegeben, was für mich die Vermutung nahelegt, dass Sitemeter erst ab einer gewissen Sekundenzahl zu zählen beginnt.

Noch befinden wir uns im sicheren Bereich der Zahlen, unheimlicher wird es erst auf einer tieferen Informationsebene, die dem Website-Betreiber viel über die User verrät, die bei ihm landen. Klickt er auf der linken Leiste unter "recent visitors" auf "By Details" erhält er eine Auflistung der jeweils letzten 20 Besucher: den Domain-Namen des Providers, die Page Views und die Verweildauer (meistens 0:00). Aber es geht noch genauer. Zu jedem Besucher kann man sich weitere Details anschauen, die in folgendem Fenster dargestellt werden:

Folgende Details des 2000. Besuchers auf The Wayward Cloud, der er selbst war, lassen sich erkennen: Provider ist die Telekom, Kontinent Europa, Land Deutschland, die Stadt, die meistens auch angezeigt wird, hier aber nur über Breiten- und Längengrad angegeben wird, ist Hamburg. Er verwendet einen Mac, browst mit Netscape, hat die Javascript-Version 1.5 installiert und betrachtet die Welt in einer Auflösung von 800 x 600 Pixel und einer Farbdichte (?) von 16 bits. Die Zeit und Länge des Besuchs sind festgehalten ebenso wie, und jetzt wird es wirklich interessant, der Weg, der den Besucher zu The Wayward Cloud geführt hat. In mehr als 90 Prozent aller Fälle führt dieser Weg über die Suchmaschine Google, und in über 90 Prozent aller Fälle anhand von Suchbegriffen, die der Website-Betreiber nicht mit der Intention seines Angebots in Verbindung gebracht hat. Die oben verwendeten drei Wörter sind in den letzten drei Wochen erstaunlich oft aufgetaucht, und sie gehören noch zum Unschuldigsten, was das unbewusste Wörterbuch von Wayward Cloud bereithält.

Sitemeter macht süchtig. Nicht nur, weil man in immer kürzeren Abständen das Auf und Ab der Besucherzahlen beobachten möchte und immer auf der Suche nach dem neuen externen Link ist, der im Netz auf den eigenen Blog verweist. Sondern vor allem, weil man Einblick erhält in eine Sphäre, die man immer schon erahnt hat, aber noch nie in solcher Klarheit Schwarz auf Weiß vor sich sehen konnte. Das Web als Wunscherfüllungsmaschine, als lexikalische Projektionsfläche von Sehnsüchten und Begierden, als gigantisches Google-Geilheits-Gerät, als "verzauberte Feuchtsavanne, in der die geheimsten und verwundbarsten all unserer vielen Ichs in Sicherheit spielen können" (Alan Moore im Interview). Aber ganz so sicher eben doch nicht. The Wayward Cloud beobachtet dich.

Wenn man "polnische" und "Mösen" googelt, erhält man 23.500 Treffer. Wayward Cloud ist an dritter Stelle.

06 März 2009

Superhelden vs. Monster


Am Ende von Quentin Tarantinos Kill Bill 2, kurz vor dem Showdown zwischen der rächenden Braut und Bill, hält dieser einen kleinen Vortrag über ein Thema, das The Wayward Cloud schon einmal beschäftigt hat: den Kleidungswechsel bei Superhelden. Den Unterarten der Hineintransformierer (Hulk), Selbernäher & Umzieher (Spider-Man) und der Gar-nicht-Wechsler (Hancock) fügt er eine vierte hinzu. Das Interessante an Superman, so Bill, sei nämlich, dass er kein Mensch ist, der sich zur Ausführung seiner Heldentaten kostümiert, sondern ein Superheld, der sich als Mensch tarnt. Die Klamotten, mit denen man ihn und seine Superfähigkeiten verbindet, das rote Cape und das eng anliegende blaue Kostüm, verbergen nicht seine wahre Identität, sondern konstituieren diese. Der biedere Business-Anzug des Clark Cent ist die Verkleidung, die er auszieht, wenn es wieder los geht.

Mit großem Interesse sah ich in Captain Berlin vs. Hitler, Thilo Gosejohanns Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks von Jörg Buttgereit, dass auch Captain Berlin, Deutschlands einziger Superheld, offenbar ein Artverwandter von Superman ist. Wenn er aufbricht, um das Böse in Form von Hitlers Gehirn und Graf Dracula zu bekämpfen, sehen wir, dass seine Verkleidung im Grunde eine Entkleidung ist. Unter seinen Alltagsklamotten scheint er immer sein Kostüm zu tragen. Wie eine zweite Haut.

In Captain Berlin vs. Hitler tauchen mit Dracula und einer an Frankensteins Schöpfung erinnernden Kreatur, die aus den Leichenteilen deutscher Landser zusammengesetzt ist, auch zwei Wesen auf, die eine prominente Rolle in Buttgereits Doku Monsterland spielen. Darin folgt der Regisseur der Spur dieser Geschöpfe nach Japan und in die USA, er spricht mit Regisseuren wie Shinya Tsukamoto, Joe Dante und John Carpenter, mit Special-Effect-Künstlern wie Gregory Nicotero und Rick Baker und Monster-Verkörperern wie dem japanischen Schauspieler Kenpachiro Satsuma. Dabei erhält man eine Vielzahl Erklärungen für Monster, politische, psychologische, metaphorische, philosophische, aber so richtig klar umrissen wird der Begriff des Monsters nicht. Vielleicht handelt es sich ja gerade um eine Gattung von Wesen, deren ontologischer und biologischer Status unklar ist und die sich eben nicht in ein mit eindeutigen Merkmalen und Oppositionen arbeitendem Kategoriensystem fassen lassen.

Jörg Buttgereit mit seinem Lieblingsmonster

Vielleicht muss man auch ein bisschen auf sein Gefühl vertrauen. Der Autor Kim Newman beschreibt Dracula in Monsterland als sein Lieblingsmonster, weil er nicht nur wie King Kong die weiße Frau besitzen und wie Godzilla Tokio zerstören will, sondern weil er die Weltherrschaft anstrebt. Genau darin besteht für mich jedoch das Problem mit Dracula als Monster: Er ist zu souverän. Eines der zentralen Merkmale von Monstern für mich, und das kommt in Buttgereits Film auch sehr schön heraus, ist ja, dass sie Mitleid erwecken, weil sie zu einem gewissen Grad abhängig sind von ihren Schöpfern oder äußeren Bedingungen. Ihre Monstrosität entspringt keiner freien Wahl, sondern ist das Ergebnis einer Laune der Natur oder eines Mad Scientist, ihr Status ist prekär. Dracula kann ich mir gut vorstellen, wie er jahrhundertelang in seinem Schloss weilt, auf die Menschheit pfeift und den lieben Gott einen guten Mann sein lässt. Aber bei näherer Betrachtung hat die Sache für ihn natürlich doch einen großen Haken, denn sein Schöpfer Bram Stoker hat ihm die Verderbnis gleich mit in die Wiege gelegt, indem er ihn nicht nur zu einem Blut-Junkie, sondern auch anfällig für Kreuze, Sonnenlicht, Knoblauch und Weihwasser gemacht hat.

Die reinsten Monster sind vielleicht die Werwölfe und Dr. Jekylls Mr. Hyde, weil sie den Dualismus der Gattung fast schon allzu deutlich verkörpern. Es sind Menschen, die sich in etwas Anderes transformieren, das gerne als das Triebhafte, Animalische, das Es beschrieben wird. Das sind eigentlich die langweiligsten Monster, weil sie sich so wunderbar in psychoanalytische Erklärungsmuster einpassen und dadurch kategorisierbar werden. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch Zombies, die bei Buttgereit seltsamerweise gar nicht vorkommen, und Serienmörder. Also menschliche Wesen, die ihre körperliche Form weitgehend behalten, dafür aber in die Gewalt eines ungezügelten Begehrens nach rohem Fleisch geraten. Ist Ed Gein also ein Monster? Vielleicht, aber dann befindet er sich am anderen des Spektrums von Dracula, denn er ist zu unsouverän, zu sehr Triebmaschine, zu sehr Mensch, auch körperlich.

Der Souverän unter den Monstern:
Bela Lugosi als Dracula


Die Opposition, auf die jeder Versuch einer Begriffsbestimmung des Monsters hinauszulaufen scheint, fasst John Carpenter an einer Stelle von Monsterland schön zusammen. Er benutzt das Bild einer am Lagerfeuer sitzenden Gruppe, die über das Böse spricht. Einer weist mit dem Finger weg vom Feuer, hinaus ins Dunkle, und sagt: Das Böse, das ist das Andere und Fremde, das dort jenseits des Lichtscheins lauert. Ein anderer weist mit dem Finger auf sich selbst und sagt: Das Böse ist das, was hier drin lauert. Das Fremde und das Eigene, diese Oppositionen lassen sich auch wiederfinden in den Begriffen "souverän" und "unsouverän". Das da draußen, das ist eine dunkle selbstbestimmte Macht, ganz uninteressiert am Menschen. Das hier drinnen, das sind Hunger und Tod, alles, was dem Menschen kennzeichnet als ewig abhängiges Mangelwesen, das ewig um sich selbst kreist und sich dabei verzehrt.

Gern hätte ich Slavoj Zizek gestern bei seinem Besuch in Hamburg nach seiner Definition eines Monsters gefragt, aber ich habe es vergessen. Was man immer wieder lernen kann bei ihm (hier habe ich das schon mal versucht), demonstriert er in The Pervert’s Guide to Cinema sehr schön anhand der Szene in Matrix, in der Morpheus Neo zwei Pillen anbietet: eine rote für den ewigen Schlaf und das Verharren im virtuellen Traumland der Matrix, eine blaue für das traumatische Erwachen in die Schrecken der Realität (oder andersherum). Neo entscheidet sich fürs Erwachen, Zizek hingegen fordert eine dritte Pille. Diese bringt die Erkenntnis, dass unsere Realität gar nicht zu haben ist ohne Fiktionen und Fantasmen, die ihr Bedeutung und Struktur verleihen. Einen nackten Blick auf die Realität kann es nicht geben, dann würden wir verrückt werden angesicht des gleichgültigen Nichts, das uns umgibt.

Die in der Mitte, bitte! (Morpheus’ Hände in Matrix)

Mit Slavoj Zizek möchte ich behaupten: Monster sind weder ganz dem einen noch dem anderen Bereich zuzuordnen, weder dem realen Anderen da draußen noch dem fantasmatischen Gebilden hier drinnen, sondern bilden ein eigenständiges Drittes, das zwischen diesen beiden Polen changiert. Sie haben nicht die radikale Souveränität eines vollkommen fremden Wesens, die genau darin bestehen würde, der Existenz des Menschen nicht die geringste Beachtung zu schenken. Monster aber sind immer auf den Menschen bezogen, in ihnen entfaltet sich ihr ganzer Schrecken. Sie sind aber auch keine rein psychologischen Manifestationen menschlicher unterdrückter Begierden und Ängste, sondern führen ein Eigenleben, das der Natur und ihren Kräften viel näher ist, als es der Mensch jemals wieder sein wird.

Zizek hat mich ein weiteres Mal darin bestärkt, dass die 3 eine magische Zahl ist. 3 Marx-Brothers, 3 Geschosse in Norman Bates’ Haus, 3 Ich-Instanzen, 3 Pillen, 3 Kategorien von Wesen: Menschen, Monster und alle die, die uns mit dem Arsch nicht angucken.

Nachtrag vom 26. März: Interview mit Jörg Buttgereit

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Jörg Buttgereit auf der Leinwand und im Fernsehen:

Freitag, 13. März, 21 Uhr, 3001-Kino: Captain Berlin vs. Hitler, Regie: Thilo Gosejohann, nach einem Theaterstück von Jörg Buttgereit. Die beiden werden als Gäste erwartet

Dienstag, 17. März & Mittwoch, 18. März, 23 Uhr, 3001-Kino: Der Todesking, Regie: Jörg Buttgereit

Sonntag, 29. März, 22.25 Uhr, Arte: Monsterland, Regie: Jörg Buttgereit