18 Dezember 2010

Das zweiköpfige Biest

Anmerkungen zum Wahren, Schönen und Guten auf Zelluloid anlässlich der Reihe Bizarre Cinema #8
>> #7 Ein Arzt, wie er nicht sein soll // Mad Doctors
>> #6 Reel Animals // Grizzly
>> #5 Guter schlechter Film // Stanley
>> #4 50 Tote! // Assault on Precinct 13
>> #3 Penetra-, Muta-, Deformationen // Brian Yuzna
>> #2 Wo dein Geld ist // Blutiger Freitag
>> #1 Join Us // Evil Dead


Eine kleine Filmgeschichte des Nahkampfes
„Es gibt sie wirklich. Jede Armee hat ihre Spezialeinheiten, deren Mitglieder militärischen Nahkampf trainieren und lernen, den Gegner rasch und rücksichtslos zu töten. Staatlich ausgebildete Killer sind keine Fiktion, aber in der Wirklichkeit wird ein Mantel des Schweigens über ihnen ausgebreitet. Daher können wir nur in der Fiktion mehr über sie und ihr tödliches Handwerk erfahren. Bizarre Cinema lädt ein zu einem bunten Potpourri durchschnittener Kehlen, gebrochener Genicke und zerschlagener Schädel. Eine Zusammenstellung unserer Lieblingsleinwandkämpfe stimmt ein auf eine ganz spezielle Ikone der Einzelkämpfer, von der die Ausbilder jetzt immer sagen müssen, dass sie genau solche Leute nicht gebrauchen können: John R. zeigt uns wie man kämpft und gewinnt.“ (Hans-Arthur Marsiske)
Beim Bizarre Cinema Special „Das Handwerk des Tötens“ am 25. September 2010 ging es um Kämpfe auf Leben und Tod, bei denen nicht Ästhetik und Choreografie im Vordergrund stand, sondern eine militärische Effizienz des Tötens und Überlebens. Nicht ostasiatische Kampfkunst mit freiem Oberkörper, sondern eine eher leidenschaftslose, nahezu wissenschaftliche Ökonomie der Verteidigungs- und Angriffsbewegungen. Die angeblich effizienteste dieser Techniken, so konnte man gleich zu Beginn lernen, wird derzeit von den Sicherheitskräften in Israel praktiziert. Krav-Maga wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von dem Ungarn Imrich Lichtenfeld entwickelt und in den 1930er-Jahren den in Bratislava lebenden Juden zur Verteidigung gegen antisemitische Übergriffe vermittelt. Man fragt sich, warum Tarantino seine Inglourious Basterds nicht zu einer Krav-Maga-Elitetruppe hat ausbilden lassen, denn die Technik besitzt viel visuelles Potenzial, wie man im Bourne Ultimatum sehen kann. Gegen einen nahezu gleichwertigen Gegner demonstriert Matt Damon dort auf engstem Raume, worauf es bei Krav-Maga ankommt: immer in Bewegung bleiben, kaum direkte Schläge, sondern eher von der Seite kommende Drehbewegungen, sodass die Hand mit der gesamten Kraft des Torsos im Ziel landet, Fokussierung auf Brust, Hals, Gesicht des Feindes, offene Hände, immense Schnelligkeit.



Die Serie Human Weapon, aus der Thorsten Wagner die Folge über Krav-Maga präsentierte, funktioniert ähnlich wie viele heutige Kochshows à la Die kulinarischen Abenteuer der Sarah Wiener: Zwei aufgeschlossene junge US-Amerikaner reisen um die Welt und lassen sich von den Meistern ihres Fachs in mehr oder wenige arkane Kampfkünste einführen. Mondo Cane für das Kabel-TV-Zeitalter, in der vor keiner Zuspitzung, barbarischen Heavy-Metal-Mucke und unverständlichen mathematischen Formel zurückgeschreckt wird, um jedes Mal aufs Neue zu zeigen: Es existieren überall auf der Welt Gruppen von eingeweihten Männern, die, wenn sie wollten, uns Zivilisten zu Klumpatsch hauen könnten. Gott sei Dank sind sie auf unserer Seite.

Wer ist der Feind? Kiefer Sutherland als Jack Bauer in 24

Diese moralisch und gefühlsmäßig ambivalente Aura zwischen Faszination und Abscheu, Begeisterung und Scham umgibt alle hochspezialisierten Einzelkämpfer-Figuren. Sie wurden ausgebildet, um unsere Ordnung vor äußeren und inneren Feinden zu schützen, geraten im Zuge dieser Ausbildung aber auch ein Stück weit aus unserer schamregulierten Ordnung heraus. Um ihn bekämpfen zu können, gleichen sie sich dem Feind in seinen Methoden an, was die Unterscheidung zwischen Gut und Böse für den Betrachter nicht immer leicht macht. Figuren wie Jack Reacher aus den Romanen von Lee Child und Jack Bauer aus der Fernsehserie 24 sind eine neue Art Halbgötter der Moderne, unsterblich und menschlich zugleich, die auf dem schmalen Grat zwischen befriedeter Ordnung und gewalttätigem Chaos wandeln, Weltenretter mit Blut an den Händen, denen man nicht im Dunkeln begegnen möchte.

Vor allem an Jack Reacher, jenem Held, „der manch Plausibles am Wunsch, in modernen Gesellschaften zugleich drinnen und draußen sein, auf den Punkt bringt“ (Ekkehard Knörer in Cargo 08), lässt sich imer wieder die beunruhigende Mischung aus archaischer Intuition und hochintelligentem Trickstertum ablesen, die das Handeln aller Handwerker des Tötens auszeichnet. Jeder ihrer Kämpfe auf Leben und Tod gegen übermächtige Gegner (zum Beispiel gegen den Steroid-Riesen Paulie im großartigen Janus-Mann) ist bei aller in Fleisch und Blut übergegangenen Effizienz des Knochenbrechens letztlich ein Straßenkampf, bei dem mit fiesen Finten gekämpft wird. Restlos maschinisieren lässt sich das Töten nicht.

Jenseits der Scham: Anthony Hopkins und Alec Baldwin in The Edge

„Die meisten Menschen sterben in der Wildnis an Scham“: Dieser Satz aus Lee Tamahoris The Edge (1997, dt Auf Messers Schneide), den Drehbuchautor David Mamet in verschiedenen Variationen Anthony Hopkins in den Mund legt, beeindruckte mich mehr als alles andere an diesem Film über drei Männer, die in Alaska um ihr Überleben kämpfen. Hopkins, der als weltfremder Bücherfreund eingeführt wird und in der Wildnis dank seines angelesenen Wissens zu großer Form aufläuft, fügt hinzu: Die Scham verhindert das klare Denken. Also den einzigen Nischenvorteil, den die Spezies Mensch auf dem Territorium der anderen Gattungen diesen voraus hat. Später im Film sieht man Hopkins und Alec Baldwin, wie sie mit selbst gebastelten Speeren und dem Wissen um die Schwerkraft einem riesigen Bären den Garaus machen. An dieser Ur-Szene des Nah-Kampfes lassen sich zwei grundlegende Lektionen des Handwerk des Tötens ablesen: 1: Verlerne die Scham und besinne dich auf deinen eigentlichen Nischenvorteil: Töten mit angeschaltetem Hirn. 2. Wenn deine eigene Kraft nicht ausreicht, bringe den Feind mit seiner eigenen um.
„Mit dieser sehr langen Mordszene wollte ich mich einmal gegen ein Klischee absetzen. Im Allgemeinen passieren in Filmen die Morde sehr schnell, ein Messerstich, ein Schuss, und meistens nimmt sich der Mörder nicht einmal die Zeit nachzuschauen, ob sein Opfer auch wirklich tot ist. Deshalb dachte ich, es wäre an der Zeit, einmal zu zeigen, wie schwierig, mühsam und zeitraubend es ist, einen Mann umzubringen.Wegen des Taxichauffeurs draußen vor dem Bauernhof versteht das Publikum, weshalb der Mord lautlos geschehen muss und kein Schuss fallen darf. Entsprechend unserem alten Prinzip muss der Mord mit Mitteln ausgeführt werden, die der Ort und die Personen nahelegen. Wir sind auf einem Bauernhof, und es ist die Bäuerin, die ihn tötet. Wir verwenden folglich Haushaltsgegenstände: einen Topf mit Suppe, ein Küchenmesser, eine Schaufel und schließlich den Gasofen. (Alfred Hitchcock im Gespräch mit Francois Truffaut, in: Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?)
Triumph des Amateurs:
Paul Newman und Wolfgang Kieling in Torn Curtain


Die von Hitchcock beschriebene Szene aus Torn Curtain bietet, so erzählte Mike Schimana beim Bizarre Cinema Special, ein schönes und seltenes Beispiel für den Sieg zweier Amateure über einen Profi des Tötens. Wolfgang Kieling spielt den Agenten Gromek, der bis kurz vor seinen Tod ein abschätziges Lächeln im Gesicht trägt, weil es ihm in seiner hochspezialisierten Hybris lächerlich und ganz unmöglich erscheint, dass ihm Paul Newman und eine Bauersfrau gefährlich werden könnten. Toll an der Szene ist neben ihrer Stille und Länge die Tatsache, dass es die Frau ist, die als Erste ihre Scham überwindet und zum Angriff übergeht. Es sind die Utensilien ihrer spartanischen Küche, die den Goliath Gromek zu Fall bringen: Suppentopf, Messer, Schaufel, Ofen.

Das Handwerk des Tötens, der Begriff deutet es an, kann man erlernen. Es ist ein Berufsstand, dessen Vertreter in einem arbeitsteiligen System die Aufgabe innehaben, dieses zu stabilisieren, ohne dass sich der Boss die Hände schmutzig macht. In der Serie Deadwood, in der sehr präzise vom Entstehen einer auf Eigentum gegründeten Gesellschaftordnung erzählt wird, gibt es in der 5. Episode der 3. Staffel einen Kampf, der den Zusammenhang zwischen Macht und Gewalt sehr deutlich macht. Das wirtschaftliche Imperium des Al Swearengen, das er sich mit anfänglich roher Gewalt und später zunehmend mit Diplomatie, Verhandlungen und Etablierung von Ordnungsstrukturen aufgebaut hat, ist an diesem Punkt der Erzählung bedroht durch den Außenseiter Hearst . Dieser ist ein Heuschreckenkapitalist mit Hang zum metaphysischen Bösen, der am Ort Deadwood keinerlei Interesse hegt als das, ihn bis auf den letzten Cent auszusaugen, um dann weiterzuziehen.

Das Biest mit den zwei Köpfen:
Dan Dority vs. Captain Turner in
Deadwood

In der Episode A Two-Headed Beast (dt. Auge um Auge) treffen mit Dan Dority und Captain Turner die zwei korpulenten Männer fürs Grobe von Swearengen und Turner aufeinander. Das ist ein wahrhaft barbarischer Kampf der Urgewalten im Schlamm, der sich aber, gegen Ende der Szene macht das eine Kamerafahrt sehr schön deutlich, vor erhöht sitzendem Publikum abspielt. Swearengen und Hearst schauen von oben herab auf den Kampf, der stellvertretend geführt wird. Da Worte, Taktik, Verhandlungen im Kampf um die Ressourcen nicht weiterhalfen, haben die Mächtigen ihre Spezialisten aufeinander losgelassen. Was wie ein Atavismus wirkt, entpuppt sich als notwendiges Rädchen in einem schon stark ausdifferenzierten System, in dem auch die entfesselte Gewalt ihre Funktion hat. Wie die Mächtigen selbst schauen wir von den Rändern zu, wie die Welt aus den Fugen gerät, damit sie weiter bestehen kann.

************************************

Donnerstag, 23.12., 23.55 Uhr, WDR: Der zerrissene Vorhang (OT: Torn Curtain)

Montag, 27.12., 22.15 Uhr, ARD: Das Bourne Ultimatum

Keine Kommentare: