Anmerkungen zum Wahren, Schönen und Guten auf Zelluloid anlässlich der Reihe Bizarre Cinema #9
#7 Ein Arzt, wie er nicht sein soll // Mad Doctors#6 Reel Animals // Grizzly
#5 Guter schlechter Film // Stanley
#4 50 Tote! // Assault on Precinct 13
#3 Penetra-, Muta-, Deformationen // Brian Yuzna
#2 Wo dein Geld ist // Blutiger Freitag
#1 Join Us // Evil Dead
Eine kleine Filmtypologie des Vietnam-Veteranen
„To be blunt about it, horror films and monster movies have come to mean everything to me. Since childhood, they’ve transfixed me, motivated me, and even saved me from a complete emotional breakdown when I was a combat photographer in the Vietnam War. As I looked through the lens of my camera at horrible physical atrocities, I tried to just think of them as special effects, and wondered how I could later create what I was looking at. It would prove to be an invaluable lesson in anatomy, death and real horror.“ (Tom Savini, Kriegsfotograf und Special-Effects-Künstler, aus dem Vorwort zu Horror 101)Das Problem mit den Bildern vom Krieg ist ein zweifaches: Diejenigen, die sie aus erster Hand gesehen haben, können sie danach nicht mehr loswerden. Die Soldaten, Ärzte, Reporter und Zivilisten, die unmittelbar an Kriegshandlungen beteiligt waren, tragen auch in anschließenden Friedenszeiten Bilder in sich, für die es im Alltag keinen Platz mehr gibt. In der Figur des Vietnamveteranen wurde dieser Exzess an unverarbeiteten Bildern, in denen das im Krieg Gesehene als unverarbeitete traumatische Erfahrung aufbewahrt ist, sichtbar gemacht, in Träumen, Flashbacks, Halluzinationen und Wunschfantasien. John Rambo, Travis Bickle und Tom Savini sind Bilderspeicher, die den Dschungel und die Gewalt für ein rasch vergessen wollendes Nachkriegsamerika aufbewahrten.
Das zweite Problem mit den Bildern vom Krieg korrespondiert mit dem ersten: Die Menschen der kriegführenden Nationen, die nicht unmittelbar am Geschehen beteiligt sind, wollen diese Bilder nicht sehen und zur Kenntnis nehmen. In seinem Film Nicht löschbares Feuer (1969) beschreibt Harun Farocki dieses Problem des Nicht-sehen-Wollens und -Könnens: „Wenn wir Ihnen ein Bild von Napalmverletzungen zeigen, werden Sie die Augen verschließen. Erst werden Sie die Augen vor den Bildern verschließen. Dann werden Sie die Augen vor der Erinnerung daran verschließen.“ Wie also die Bilder heimholen, sie sichtbar machen für die Menschen, die nicht kämpfen, aber als Bürger und Arbeiter der kriegführenden Nationen mittelbar beteiligt sind?
Man kann versuchen, wie Farocki das tut, den Menschen durch eine unerwartete Szene dem Schließen ihrer Augen einen kleinen Schockmoment zuvorzukommen: das Ausdrücken der Zigarette auf der Hand des Filmemachers als Metonymie für die Wirkung von Napalm. Oder man kann, wie Farocki es daran anschließend tut, den etwas längeren Weg über den Verstand des Zuschauers zu gehen: fiktive Rekonstruktion der Herstellung von Napalm bei der Firma Dow Chemical als Beleg, dass der Krieg nicht von Soldaten, sondern von gesellschaftlichen Produktions- und Kommunikationsprozessen gemacht wird, an denen jeder Einzelne teilhat.
Neben der meist ins Opernhafte überhöhten fiktionalisierten Rekonstruktion des Vietnamkrieges (Platoon, Apocalypse Now, Full Metal Jacket) gibt es einen vierten Weg: Man kann von Menschen erzählen, die Bilder des Krieges mit sich herumtragen, den Vietnam-Veteranen. In der mittlerweile achtjährigen Geschichte des Bizarre Cinema sind viele dieser das amerikanische Kino der 70er- und 80er-Jahre prägenden Figuren aufgetaucht, mal mehr, mal weniger gut als Versehrte und Verstörte erkennbar, mal mehr mal weniger angepasst an die amerikanische Nachkriegsgesellschaft. Grob lassen sich drei Phasen der filmischen Repräsentation des Vietnamkriegs unterscheiden: 1. Von 1968 (Green Berets) bis 1975 herrschten Heroisierung und Tabuisierung vor. 2. Von 1975 bis 1982 (entspricht ungefähr der Carter-Präsidentschaft) waren viele ambivalente, zerissene Helden zu sehen.
3. Ab circa 1982 (Rambo) folgte der reaktionäre Backlash, die Kämpferkörper blähten wieder auf.
Die interessantesten Figurationen des Vietnamveteranen entstanden in der mittleren Phase der Ambivalenz, in der sich vor allem drei Typologien auprägten:
1) Der Zombie: Schon Bob Clarks Deathdream von 1972, an dem Tom Savini als Still Photographer mitgearbeitet hat, zeigt den Vietnamveteranen in seiner unheimlichsten Ausprägung. Der Soldat ist drüben gestorben, körperlich oder seelisch, und wandelt jetzt wie ein ruheloser Untoter durch ein Amerika, das ihm unter seinem Blick eben so fremd wird wie er sich selbst. Wie alle nicht zu Ende Gestorbenen steht er für etwas Verdrängtes, noch nicht Aufgearbeitetes, das niemand in seiner Umgebung hören und sehen will. Diesen Zustand zwischen Leben und Tod haben auch Buddy Giovinazzos Combat Shock (1984) und Adrian Lynes Jacob’s Ladder (1990) zum Gegenstand. Nach dem Vorbild von Ambrose Bierce’ Erzählung „An Occurence at Owl Creek Bridge“ erscheint die Realität in diesen Filmen als Halluzination oder Sekunden-Flashback eines Sterbenden. Beide Filme präsentieren Bilder, deren Status lange unklar ist, pathologische Bilder, die nicht zusammengehen, die ungewollt auftauchen und sich gegenseitig bekämpfen. Bei Combat Shock ist die Realität von Staten Island selbst angefressen vom Dschungel, es gibt kein Entkommen aus dem Kriegsgebiet.
Foto aus Wintersoldier (1972),
abgebildet in Amos Vogels Film as a Subversive Art
2) Der Jäger: „It was like a hunting trip“ heißt es an einer Stelle des Dokumentarfilms Wintersoldier (1972), in dem Vietnamsoldaten über sich selbst sprechen. Es war nicht unüblich, dass sich GIs im Vietnamkrieg in der Pose des erfolgreichen Waidmannes neben ihren Opfern ablichten ließen. Für die Veteranen in Michael Ciminos The Deer Hunter (1978) ist die Jagd eine Möglichkeit, Erinnerungen und Erfahrungen des Krieges in einem gemeinsamen Ritual wachzurufen und zu bannen, Open Season (1974) von Peter Collinson geht noch einen Schritt weiter: Die drei Collegeboys, die hier einmal im Jahr in die Wildnis fahren, machen Jagd auf Menschen. Schon zu Beginn des Films macht die Erklärung eines Richters klar, dass die drei nicht zu belangen sind; das Opfer hat es angeblich so gewollt. Am verstörendsten ist in diesem Film nicht das Töten selbst, sondern das Lächeln der Täter, die von ihren Opfern nicht nur Einverständnis, sondern begeisterte Zustimmung verlangen. Die selbst ausgestellte Lizenz zum Töten erlebte in den 80er- und 90er-Jahren dann noch eine kurze Renaissance in Menschenjagdfilmen à la Graf Zaroff, Genie des Bösen wie zum Beispiel Brian Trenchard-Smith’ Turkey Shoot (1982) und John Woos Hard Target (1993).
3) Der Einzelgänger: Er hat die amerikanischen Werte vielleicht allzu gut verinnerlicht, ökonomisch, soziologisch, familiär ist für ihn aber kein Platz mehr. Er will seine Pathologie um jeden Preis verbergen und wird auf den ersten Blick oft nicht als Vet erkennbar, wie zum Beispiel Sonny Wortzik aus Sidney Lumets Dog Day Afternoon (1975) und Travis Bickle aus Martin Scorseses Taxi Driver (1976). Auch Tim Ochopee, die Hauptfigur aus William Grefes Tierhorror-Film Stanley (1972), passt in diese Kategorie: In der Blockhütte in den Sümpfen, in die er sich aus Ekel vor den Menschen zurückgezogen hat, wiederholt er das Kriegstrauma, dem er zu entkommen hofft, mit einem Trupp Schlangen, die er sich als Tötungsmaschinen heranzieht. In diesen Filmen wird nicht offen über Vietnam gesprochen, der Bezug ist oft nur für Insider zu erkennen, deutschen Kritiker ist in der Erstrezeption zum Beispiel komplett entgangen, dass Bickle ein Vet ist (Paul Schrader: „That was a Vietnam thing. Marty Scorsese and Bobby De Niro interviewed an ex-Green Beret who told them if a Special Force member felt he was going to die, he would shave his head into a Mohawk as a warning to his fellow soldiers. What he meant was ,Don’t fuck with me. I’m going over the hill.‘ The film never mentions Vietnam, but it’s full of Vietnam language.“) Figuren wie Sonny und Travis erinnern auch daran, dass hauptsächlich junge Männer aus armen Verhältnissen in Vietnam verheizt wurden. Und was drüben gelernt wurde, taugt nicht als ökonomischer Spezialisierungsvorteil fürs Leben daheim. Die Folge sind oft pathologische Missionen, die in kriegsähnlichen Massakern und Belagerungszuständen enden.
William Devane bei der Erinnerungsarbeit in Rolling Thunder
„I had in mind a script about a man, a POW who was shot down on one of his first missions in Vietnam. He comes back a hero, but he feels guilty about being a hero because he never killed anybody. He gets a chance to become a hero in that he is very much a racist and his hatred of the Vietcong is displaced by racism against Mexican Americans. He’s from the Texas border area, and so his DMZ becomes the border; he crosses over it, and he kills a lot of people with different color skins. Now the filmmakers, and particular the actor [William Devane], I am told, were very queasy and unwilling to play a racist character. And in making the character more normal, they no longer had a movie about a racist, but a racist movie. There’s a distinction. What they did would have been equivalent to giving Travis Bickle in Taxi Driver a dog. You take away his sickness, you take away the meaning from the movie. You then had a sick movie about a normal person rather than a sane movie about a sick person.“ (Paul Schrader im Interview, John Brady: The Craft of the Screenwriter)
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